Heute: Wie ermordet man einen Baum?
Nicht alle Menschen mögen Bäume, zumindest nicht, wenn diese ihnen zu nahe kommen. Da hört man dann Sätze wie: „Dieser Dreck da im Herbst“, der macht ja „nur Arbeit“. Und „die Äste“. Und dann der Schatten: „Da wächst nix mehr drumherum“. Kurzgesagt: „A Bam ghörat eifach in´n Woid“ (zu deutsch: „Ein Baum gehört einfach in den Wald.“)… In solchen Situationen atme ich tiiief ein, laaangsam aus und fange an, in meinem Kopf eine leise Melodie zu summen. Meistens hilft es, um zu verhindern, dass meine Gedanken zu Worten werden.
Neulich war ich in einem Gartenforum unterwegs. Ein grausamer Titel sprang mich an:
„Rosskastanie töten“
Ungläubig klicke ich auf den Beitrag. Da hat sich sicher jemand einfach nur verschrieben oder möchte hohe Klickzahlen erhalten…
Doch nein. Eine Rosskastanie soll tatsächlich sterben. Auf Wunsch einer Dame, die sich ein Häuschen gemietet hat. Seit vier Monaten wohne sie nun dort – und anscheinend war dann plötzlich diese Rosskastanie da (?). Denn es störe sie jetzt, wie groß dieser Baum sei, und dass er unfassbar viel Schatten werfe. Also wirklich viel zu viel Schatten. Aber ihr Vermieter, der tue einfach nichts dagegen. Daher möchte sie jetzt selbst aktiv werden. Und da diese Sache mit den Nägeln ja bekanntermaßen nicht funktioniere (…!?), wende sie sich nun mit ihrer Frage – „Wie tötet man einen Baum?“ – an fachkundige Gartenmenschen. Anonym, in diesem Gartenforum. Über eine Freundin, die dort einen Account hat.
Poff. Ich bin sprachlos. Langsam, aber sicher steigen Empörung, Wut und mit ihnen wüste Beschimpfungen in mir auf. Meine Finger zucken Richtung Tastatur. Sie wollen wild darüber wirbeln und sich Luft machen!
Ein Kastanienbaum im Garten: Was für ein Traum! Bis unserer so groß ist, dass wir in seinem Schatten sitzen können, haben wir schneeweiße Haare und unsere Zähne schlafen getrennt von uns. Nagel: Da bleibt mir die Luft weg! Warum zieht sie in ein Haus mit Baum im Garten, wenn sie das nicht zu schätzen weiß? Soll sie doch in eine Betonwüste ziehen. Schatten: Ich wünsche sie mir in eine baumlose Ebene, über der gnadenlos Sonne, Hitze und Trockenheit des letzten Sommers brennen. In Gedanken lass ich sie dort schmoren, bis sie flehentlich nach Schatten schreit…
Während ich mich aufgebracht durch die Antworten nach oben scrolle, lese ich, dass ich nicht die einzige mit diesen Gedanken bin. Die arme Freundin der Dame, die bis zum Schluss geflissentlich schweigt, muss sich stellvertretend ordentlich beschimpfen lassen.
Da steigt Mitleid in mir auf. Meine Gedanken und Finger beruhigen sich und ich denke mir: Hier wurde schon alles gesagt, was es zu sagen gibt.
Und schweige.
Nach einer Weile gehe ich raus in den Garten und prüfe vorsichtig die dicken harzigen, braun glänzenden Knospen unseres kleinen, aus der Kastanie gezogenen Rosskastanienbäumchens.
Noch mehr Baumgeschichten? voila 🙂
Großartig geschrieben! Man hat Lust selbst manchen Menschen ein paar Nägelchen vor die Haustür zu streuen. Auf das dann ein kleines „autsch!“ vielleicht zum Nachdenken anregt 😛
LikeGefällt 1 Person
Danke 🙂
ohoh, zu solchen Gedanken und Taten wollte ich nicht animieren 😉
LikeLike
Toller Beitrag, aber wie kriege ich denn jetzt den riesigen Apfelbaum mitten auf unsererm 25mm Golfrasen klein? Und wie sieht eure Kastanie inzwischen aus? Fragen über Fragen…
LikeGefällt 1 Person
Drüber mähen 😉
Zur Kastanie gibt´s n Update, wenn sie Blätter hat. Aktuell müssen wir sie vor unserer gefrässigen Wolfsdame schützen. Die knabbert nämlich gern die klebrigen Knospen ab *grummel*
LikeLike