Schattenserie: unbekanntes Herzgespann

Die Anordnung und Form der Blüten erinnert an Goldnessel und Taubnessel. Der Löwenschwanz oder das Herzgespann gehört wie die beiden zur Familie der Lippenblütler.

Vor einiger Zeit bekam ich im Büro eine Email von einem Biologen, der auf Vogelkartierung unterwegs war; im Anhang ein unscharfes Foto: „Weiß jemand von euch, was das für eine Pflanze ist?“ Die Antwort meines Chefs, auch Biologe, kam prompt: „Die hab ich noch nie gesehen. Vermutlich eine verwilderte Gartenpflanze, also nichts besonderes.“ Mmh, das war mir zu einfach. Vom Entdeckergeist geweckt, griff ich zu Hause in mein Bücherregal und holte den in die Jahre gekommenen Kosmos-Naturführer Blütenpflanzen* heraus. Bevor ich im Internet weitersuchen konnte, brauchte ich zumindest eine erste Idee. Und die finde ich oft in Büchern.

Ich blätterte eine Weile, und siehe da, auf Seite 216 wurde ich tatsächlich fündig:

Echter Löwenschwanz, Leonurus cardiaca
(auch Echtes Herzgespann genannt, wie ich im worldwidepflanzenweb schnell herausfand)

„Hohe, unterschiedlich behaarte Mehrjährige; meist bis 1m, gelegentlich höher,“ heißt es da in stichwortartiger Formulierung. Wow, voll cool! Ich liebe so hochwachsende Stauden! Wächst an „Waldrändern, in Hecken, auf schattigen Schuttplätzen; verbreitet auf dem europäischen Festland, außer im Norden“.

Die Form der Blätter zwischen den Büten ist charakteristisch und angeblich namensgebend, da sie wie Löwenschwänze aussehen würden. Naja, das ist wohl Ansichtssache.

Seltsam, warum kennen die beiden sonst so artenkundigen Biologen sie nicht, wenn sie so verbreitet ist? Und warum hab ich sie noch nie gesehen? Sie wäre mir sicher aufgefallen, so ungewöhnlich wie sie aussieht und so groß wie sie wird. Aber vielleicht liegt das ja an dem Alter meines Kosmos-Buches. Vielleicht ist die Pflanze mittlerweile eben nicht mehr „verbreitet“, sondern selten geworden? Sie wäre nicht die erste, der es so ergeht. Und wenn dem so wäre, dann wäre die Entdeckung ein echter Schatz…

Als ich meinem Chef davon berichtete, kramte er ein anderes Buch heraus: Den Oberdorfer, DAS Pflanzenbestimmungsbuch (also quais DIE Pflanzenbibel) für Biologen. Nach einer Weile blättern stand fest: „Steht nicht drin; und wenn die Pflanze hier nicht drin steht, dann kommt sie auch hier bei uns nicht vor. Also verwilderte Gartenpflanze.“

Weiter unten am Stengel sind die Blätter des Herzgespanns eher handförmig.

Da mein altes Kosmos-Buch im Rang deutlich unter dem Oberdorfer steht, schwieg ich. Aber zufrieden geben wollte ich mich damit noch nicht. Leider wurde ich aus meinen Internetrecherchen über die Herkunft dieser Pflanze auch nicht schlauer. Alles irgendwie schwammig und keine wirklich verlässliche Quelle. Also schrieb ich einen ehemaligen Kollegen an, der sich intensiv mit Systematik beschäftigt. Er hat halb Baden-Württemberg kartiert. Wenn jemand etwas dazu sagen kann, dann er.

Ich wartete gespannt auf seine Antwort. Hier ist sie:

In Baden-Württemberg kommt die Art nur sehr zerstreut vor. Sie bevorzugt hier die wärmeren Teile und ist stark im Rückgang, weil die Dörfer zu sauber geworden sind.
Ursprünglich in unserem Gebiet als Heilpflanze verwildert und dann eingebürgert (Archäophyt). Ähnliches wird auch für Bayern zutreffen. Der erste Nachweis aus Baden-Württemberg stammt aus dem
[und jetzt halte dich fest] Jahr 13 nach Christus bei Tübingen.
In Baden-Württemberg wird sie in der Roten Liste mit 2 [= stark gefährdet] geführt. Es sind nur wenige aktuelle Vorkommen verzeichnet.
Wie bei vielen Arten, die als Kulturpflanzen genutzt werden oder wurden, lässt sich die ursprüngliche Verbreitung kaum noch rekonstruieren. In den von mir geprüften Beschreibungen zählt bei Leonurus cardiaca Mitteleuropa zum Verbreitungsgebiet. Da die Art nach Osten hin bis weit nach Asien hinein vorkommt, gehe ich davon aus, dass die Art von Osten aus zu uns gelangt ist, entweder von alleine oder durch das Zutun des Menschen. Auf jeden Fall ist sie schon sehr lange hier, sowohl in den Gärten als auch außerhalb.
Die Frage, ob sie aus Kultur in die Natur gelangt ist oder umgekehrt, wird sich wohl nicht mehr beantworten lassen (wie bei vielen anderen Arten auch).

Herzliche Grüße

Martin N.

Das Herzgespann wächst an halbschattigen und schattigen Orten.

 

🙂 ich wusste es: Diese Pflanze ist ein Schatz. Und da ich außerdem gelesen hatte, dass sie eine wichtige Nektarpflanze ist, stand der Entschluss fest: Sie muss unbedingt in unserem Garten wachsen!

Kurze Zeit später erhielten wir ein Paket von der Baumschule Horstmann. Darin befanden sich unter anderem vier Pflänzchen Herzgespann. Sie wachsen jetzt an drei verschiedenen schattigen und halbschattigen Stellen in unserem Garten. Den Sommer über blühten alle fleißig, gerade reifen ihre Samen.

Vielleicht bleibt sie ja… Das wäre schön!

 

 

 


* Bob Gibbons & Peter Brough (1998): Der Große Kosmos-Naturführer Blütenpflanzen; über 1900 Arten in 1500 Farbfotos. Franckh-Kosmos, Stuttgart.

 

Lust auf noch mehr Schattenliebende Pflanzen? Eine Auflistung aller erschienenen Folgen der Schattenserie findest du im Beitrag „Pflanzenwelt im Schattenreich„.

13 Kommentare

  1. Das wollte ich gerade sagen: ein Pflanzenkrimi ! Ist ja echt der Hammer, 13 nach Christus. Wer hat denn da schon Tagebuch geschrieben 😉 ?! Irre und verdammt schade, daß sie inzwischen so bedroht ist. Ja, vielleicht wird sie bei euch heimisch und wandert dann von dort hinaus in die Welt 🙂 Das wäre ein schönes Happy End !! PS: was heißt zu sauber ? Was für Bedingungen braucht sie denn, die nicht mehr gegeben sind, oder hat man sie stets ausgerissen ?

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    • Es gab schon immer Menschen, die ihre Umgebung beobachtet und dokumentiert haben 😉
      Schöne Vorstellung: Sie wandert von unserem Garten aus wieder hinaus in die weite Welt!

      „zu sauber“ heißt: zu häufig und zu viel gemäht, nirgends darf was stehen bleiben, keine verwilderten Ecken. Alles ordentlich und sauber eben. Kein „Unkraut“, kein „Gstrüpp“ :-O

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  2. Vom Herzgespann habe ich immer mal wieder was im Selbstversorgerforum gelesen und fand auch, dass das aus verschiedenen Gründen eine interessante Pflanze ist. Wenn die Baumschule Horstmann hier um die Ecke bei mir sie führt, habe ich ja vielleicht sogar im hohen Norden Glück damit? Hmmm

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    • Ja, probier´s aus!
      Die Baumschule Horstmann ist bei dir um die Ecke? Ist ja großartig! Man kann bei ihr aber auch bestellen. Klingt erstmal gewöhnungsbedürftig bei Pflanzen, aber die Pflanzen kommen immer in Top Qualität an.
      Viel Erfolg 🙂 bin gespannt!

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      • Ich habe dort tatsächlich erst einmal persönlich Pflanzen geholt und bestelle sonst auch. Obwohl auch persönliches Erscheinen OK ist, hat man ein wenig das Gefühl, mitten in einen Ablauf reinzuplatzen, der dafür nicht vorgesehen ist. Die Qualität der Pflanzen war bislang immer top. Insofern kann ich es mir wirklich gut vorstellen, mit dem herzgespann auch hier oben zu versuchen.

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      • Ok, dann ist die Baumschule Horstmann wohl v.a. auf den Versand fokussiert. Ja, kann ich nur bestätigen, die Qualität der Pflanzen ist echt top!
        Na, dann 🙂 trau dich! Und viel Erfolg!

        Noch ein Tip: Wenn du möchtest, dass sich das Herzgespann in deinem Garten vermehrt bzw. im Winter eingegangene Pflanzen sich selbst ersetzen durch Aussaat, am besten immer zwei Pflanzen setzen. Das gilt nicht nur für Herzgespann, sondern generell. Die meisten Arten bilden nur fruchtbare Samen, wenn Fremdbestäubung stattfindet (also wenn der Pollen von einer anderen Pflanze stammt).

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  3. War heute in Freising in den Weihenstephaner Gärten und was blüht da ganz unscheinbar im Apothekergarten? Klar, das Herzgespann – soll angeblich Verwendung bei Diabetes und Schilddrüsenerkrankungen finden. Hättest Du nicht so aufregend über das unscheinbare Kräutlein geschrieben, ich wäre vorbeigelaufen 🙂

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