Grasschönheiten

Ist Gras nicht ein erstaunliches Gewächs? So lang, so dünn und gleichzeitig so stabil und biegsam. Nicht umsonst nehmen Wolkenkratzerarchitekten sie sich zum Vorbild. Aus einer Wiese, die mir im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf wuchs, zog ich mal einen Grashalm heraus, der über 2,20 m lang war – und aufrecht stand!

Kaum eine Pflanzengruppe kann man so mit Füßen treten und so oft im Jahr so kurz und klein schneiden, und trotzdem wächst Gras einfach weiter.

Wir nennen es „Gras“, aber dahinter verbergen sich mehr als 9.000 Arten weltweit. Reis, Hirse, Mais, Getreide, Zuckerrohr, Bambus und Schilf – alles „Gras“, und doch so bedeutungsvoll und überlebenswichtig für uns Menschen.

Auch „normales“ Gras landet indirekt auf unserem Tisch, umgewandelt in Milchprodukte und Fleisch. Ganze Landschaften und Ökosysteme werden von Gräsern dominiert: Steppen, Savannen, Bambuswälder und auch die Tundra.

Altgras im Novemberfrost – Rückzugsort zum Überwintern, zum Beispiel für den Igel.

Auch, wenn in Deutschland Wiesenflächen im Rückgang sind (Bayern hat seit den 1970er Jahren 1/3 seiner Wiesenflächen verloren), gehören Streuobstwiesen, Futterwiesen, Weiden und grasige Wegränder zu unserer Kulturlandschaft.

Fuchsschwanz

Und man stelle sich mal ein Fußballfeld ohne akkurat geschnittenes und gewässertes Gras vor… fast hätte ich die Gärten ergänzt. Doch die gibt es mittlerweile ja auch ganz ohne jedes Grün.

Ja, Gras im Garten spaltet die Gemüter, vor allem, wenn es um den Rasen geht. Kompakt wachsende, leicht zu bändigende Ziergrasbüschel, deren heimatlicher Ursprung in fernen Ländern liegt, gelten als schick. Auch zur Unterbrechung der Grautöne des Zierkieses im Vorgarten gerne gepflanzt.

Wer Gräser bestimmt, lernt Begriffe wie Ährchen, Grannen, Deck-, Hüll- und Vorspelzen, Häutchen und Schüppchen kennen, braucht dringend eine Botanikerlupe und erweitert sein Pflanzennamenrepertoir um so lustige Namen wie Trespe, Schwingel, Quecke und Zwenke.

Die heimischen Gräser dagegen werden total unterschätzt. Finde ich jedenfalls. Egal ob trocken oder nass, schattig oder sonnig, sandig oder lehmig, irgendeine Grasart findet sich ein.

Dieses Foto entstand nicht in unserem Garten, sondern auf einer Reise durch Rumänien.

Hohes Gras ist die Bühne der Sommermusik, die wir im toskanischen Urlaub so sehr lieben: das Fiedeln und Geigen der Grillen und Heuschrecken.

Gut zu hören, aber schwer zu entdecken, sowohl im grünen als auch im braunen Gras: die Heuschrecken.

Die Raupen von Schmetterlingen mit so vielsagenden Namen wie Perlgrasfalter, Gestreifter Grasbär, Grasbüscheleule,  Grasglucke, Dickkopffalter und Schachbrettfalter fressen sich an Gräsern zum Falter.

Hast du schon mal einen Marienkäfer dabei beobachtet, wie er einen langen Grashalm von unten bis an die Spitze hochklettert, um dort oben seine Flügel zu entfalten und davonzufliegen? Hast du schon mal mit der Hand durch das weiche, dünnhalmige Schattengras auf einer Waldlichtung gestrichen? Oder mit einem harten scharfkantigen Grashalm musiziert?

…stell dir vor, dieses Jahr lässt du in deinem Garten einfach mal das Gras wachsen. Flächen, die du ohnehin nur betrittst, wenn du deinen Rasenmäher vor dir herschiebst, sind dafür bestens geeignet!
Und dann stell dir vor, du liegst im Sommer im Liegestuhl (statt hinter dem dröhnendem Rasenmäher herzulaufen).
Die Sonne scheint prächtig.
Ein leichter, lauer Wind raschelt durch das Gras, das sich sanft hin und herwiegt.
Ein Zirpen und Sirren liegt in der Luft, wie es nur in der sommerlichen Mittagshitze auf einer Wese zu hören ist.
Schmetterlinge schaukeln hin und her.
Abends werden sie von leuchtenden Glühwürmchen abgelöst, und ein Igel grunzt sich in der beginnenden Nacht schmatzend seinen Weg hindurch… Sommerkitschiger geht es doch kaum, oder?
Und das nur, weil du mal nicht jede Woche mähst!

Inseln im Garten: Gemäht für uns und ungemäht für Heuschrecken, Falter & Co.

Wir jedenfalls lassen gerne das Gras wachsen. Einfach weil wir es können.

 

Fuchsschwanz

 

P.S.: Wenn das Gras im ersten Jahr noch nicht so schön wächst, dann hab Geduld! Die Grasarten, die schön schlank hochwachsen müssen sich erst einfinden.

 

 

22 Kommentare

  1. Huh, Gänsehaut!
    Und ja, ich bin dabei 🙂 Schon seit mehreren Jahren, aber nun werde ich mich noch steigern und die Wiese in Abschnitten mähen, der Vielfalt wegen.
    Unsere Wiese liegt sehr schattig unter Buchen, trotzdem stellt sich jetzt endlich (Jahr 4 oder 5 mit nur einem Schnitt jährlich, manchmal auch zweien) ein Unterwuchs aus Kraut ein. Ich werde demnächst mal in meinem Blog drüber berichten, danke für die Anregung.

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    • Jihuu! Noch eine Grasliebhaberin 😉 sehr schön! Freut mich sehr!
      Ja, es dauert, bis sich was einfindet, das war auch bei uns so. Aber seit letztem Jahr passiert einiges! Ohja, berichte mal! Ich bin gespannt!

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  2. Oh wow, was für ein toller Beitrag mit so wunderschönen Fotos! Allesamt traumhaft. Besonders mit den Regentropfen, aber alle anderen auch. Ein Beitrag einer Gräserliebhaberin 🙂 Und viele der Gräser sind sooo schön! Und du hattest wirklich einen Halm mit über 2m Länge?? Kaum zu glauben. Man merkt, daß du deine Grasinseln liebst. Und wie schön die Vielfalt sein muß, wenn es im Sommer zirpt und grirpt 😉 und flattert und krabbelt. Und: eine tolle Idee, einen Teil zu mähen und einen Teil stehen zu lassen. Das kann doch wirklich jeder. – „Weil wir es können“ – Klasse :-)!!!!!

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    • hihi! Ja, der letzte Satz hat sich quasi von selbst hingesetzt 😉
      Ja, Gräser sind toll! „ist ja nur Gras“ ist ja eher so die Einstellung, und die Konzentration liegt auf bunten Blumen. Aber wenn man sich diese Gräser mal genauer anschaut und wie sie im Gegenlicht, Morgentau, Frost wirken, einfach der Hammer! Auch eine bunte Blumenwiese wäre ohne sie nur halb.
      Ja, der Grashalm war über 2 m. Er hing jahrelang an meiner Wand über dem Sofa und hat jeden Besucher in Staunen versetzt, aber den Umzug hat er dann leider nicht überlebt. Seitdem habe ich nie wieder so einen langen Halm entdeckt, obwohl ich regelmäßig danach suche.

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      • Echt, überm Sofa? Kann ich mir aber gut vorstellen 🙂 Schon erstaunlich! Ich finde auch, Gräser und Wiesenblumen passen wunderbar zusammen. Am Rand einer der Straßen, die unseren Stadtwald durchqueren, wachsen auch immer so tolle Gräser! Die habe ich schon oft bewundert und wollte sie immer mal festhalten. Ist aber etwas schwierig, so an der Straße. Ja, mit Eis, Tau und Schnee sehen sie auch wunderschön aus 🙂

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  3. Ui, Gänsehaut beim lesen 🙂
    Meine Schattenwiese hat übrigens nach 4 oder 5 Jahren nur 1-2x mähen pro Jahr (je nachdem, ob sie zwischendrin für eine Party gebraucht wurde) endlich einen Kraut-Unterwuchs entwickelt (Ruprechtskraut, Gundermann, Weißklee….) Manchmal braucht’s einen langen Atem….
    Mal schaun, wie’s sich entwickelt, wenn ich ab diesem Jahr meinen Vorsatz, in Teilstücken zu mähen, umsetze.

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    • Danke 🙂 freut mich, dass dir mein Beitrag so gut gefällt!
      Tut mir leid, dass ich erst heute dazu kam, all die tollen Kommentare zu lesen! Deswegen hast du deines vermutlich heute nochmal abgeschickt? Sorry!
      Ja, aber der lange Atem lohnt sich, oder? Gerade die hübschen lila Kerzen des Gundermanns blühen ja über Wochen!
      Oh, Ruprechtskraut! Den Namen mußte ich gerade nachschlagen – ich kenne das unter „Stinkender Storchschnabel“, aber Ruprechtskraut klingt ja gleich viel freundlicher! Wobei das Kraut wirklich einen sehr eigenen Duft hat… Ich finde es auch sehr hübsch, seine kleinen pink farbenen Blüten verzieren jedes Blumenbeet sehr filigran!
      Viel Freude beim Beobachten in Bezug auf deinen Mähvorsatz! 🙂

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      • Ja, richtig, ich dachte, mein erster Kommentar sei vom System verschluckt worden, was leider öfters mal vorkommt. Kannst ihn gern löschen 🙂
        Ich habe auch erst vor kurzem den Namen „Ruprechtskraut“ entdeckt und beschlossen, daß er schöner ist und ich ihn ab jetzt verwenden will. Genauso wie ich zum Taubenkropf-Leimkraut jetzt Knirrkohl sage, weil ich bei dem Namen jedesmal lächeln muß… und ja, der lange Atem lohnt sich. Bin gespannt, was noch so wachsen wird im Laufe der Zeit!

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  4. Bei uns gibt es statt einem Blumenstrauß auch oft einen Gräserstrauß, der auch gut trocken stehen kann, bis er zum Staubfänger wird. Schon meine Mutter hatte oft einen Strauß der eleganten großen Trespe in einer Bodenvase. Und spannend sind auch die Sauergräser, die Seggen, Simsen und Wollgräser in Feuchtwiesen und Mooren.

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