Es kam wie´s kommen musste. Es gab Tote…
Noch in der samstäglichen Abenddämmerung (26.5.) hüpften die Amseleltern Regenwürmer sammelnd durch den Garten und fütterten ihre piepsenden Kleinen. Immer wieder fragte ich mich, wie sie es nur schafften, bei dieser Trockenheit all diese Regenwürmer zu finden!*
Am nächsten Morgen sah ich zähneputzend aus dem Badezimmerfenster… „OH NEIN!“ Auf dem Carportdach lag ein Amseljunges. Wie hingeworfen, die Federn durchnässt, der Bauch der Länge nach aufgeschlitzt, die Gedärme quollen raus… Das darf doch nicht wahr sein… wie grausig … und dann haben sie es noch nicht mal gefressen… schoss es mir nacheinander durch den Kopf.**

Die Zahnbürste landete im Waschbecken. Ich musste sofort nachsehen, auch wenn ich genau wusste, was mich erwarten würde. Das Nest war leer… Mussten es unbedingt alle Jungen sein? Hätte eins von dreien nicht auch gereicht?
Als Biologin ist es natürlich total dämlich, den Elstern zu grummeln. Es gibt nun mal Jäger und Gejagte. Und es ist immer so: Die eine Seite hat Glück, und die andere eben nicht. Das gehört zur Natur dazu. Jedes Lebewesen braucht andere Lebewesen, um zu überleben. Wenn die Elstern nichts für ihre Jungen finden, tun mir ihre verhungernden Jungen ja auch wieder leid. Aber trotzdem hat man eben diese Gefühle. Und ich grummelte jetzt nun mal den Elstern. Vorerst, das schwor ich ihnen, brauchte sich keine von ihnen in der Nähe blicken lassen….
Den ganzen Sonntag hing die Trauer um die Amseljungen in der Luft. Seltsam fand ich allerdings, dass die Amseleltern den ganzen Tag über weiter durch den Garten hüpften, und Regenwürmer um ihre Schnäbel wickelten. Als ob sie weiter füttern würden… aber ich hinterfragte das Ganze nicht weiter.
Montagmorgen zeigte unsere Wölfin mir an, dass sie unter´m Carport etwas Spannendes entdeckt hat. Ich ließ sie – in Hab acht – gewähren, damit sie mir ihre Entdeckung zeigen konnte. Vermutlich eine Maus oder eine junge Ratte. Ganz gut, wenn sie die hier ein bisschen aufscheucht. HUAH! Plötzlich ein lautes Gefiepse, heftiges Geflattere! Ein Schrei von mir: „STOP! HIERHER!“ Und dann saß es vor mir, heftig atmend, den Schnabel weit aufgerissen, die Flügel ausgebreitet, und nach einem Schreckmoment, schob es sich mit seinen Flügeln rudernd ins nächste Gebüsch: Eins der Amseljungen! Wie cool ist das denn! In mir jubelierte es. Wenigstens eins hat doch überlebt!

Das Amseljunge hatte noch keine Schwanzfedern, deswegen konnte es weder richtig hüpfen noch fliegen. Aber es war trotzdem schon ziemlich agil. Es gibt neue Hoffnung! Ich freute mich riesig, gleichzeitig war ich schon wieder besorgt. In Nachbars Garten habe ich gerade eben noch zwei Katzen herumschleichen sehen… Aber ich konnte natürlich nichts machen außer hoffen.
Anscheinend hat sich das Amseljunge den ganzen Sonntag über unter all dem Holz im Carport versteckt. Und wir haben nichts bemerkt, obwohl wir ständig dort hin und her gelaufen sind! Wie Schuppen fiel es mir nun von den Augen: Deswegen hat die Amselmama immer wieder mit Futter im Schnabel glucksend im Kräuterbeet daneben gesessen und uns intensiv beäugt, wenn wir auftauchten! Solche Heimlichkrämer!
Ich war überglücklich. Wenigstens eins! Vielleicht hat es das zweite ja auch geschafft. Nun war meine Aufmerksamkeit auf die Amselereignisse neu geschärft. Mir fiel auf, dass der Amselmann immer wieder am Boden hüpfend eine kurze Strophe sang. Ob er da nach einem seiner Jungen rief?
Außerdem war nun klar: So lange die Amseleltern in unserem Garten Würmer sammeln, gibt es auch die Jungen noch, irgendwo gut versteckt. Wie ich später erfuhr, kommt es wohl tatsächlich vor, dass bei einem Angriff auf´s Nest die Jungen das Nest verlassen und sich irgendwo in der Vegetation verstecken, auch wenn sie eigentlich noch nicht fliegen können. Was lob ich mir da unsere dicht bewachsenen Blumenbeete voller Stauden und hübsch blühendem „Unkraut“! Sie haben den Kleinen geholfen, den Elstern zu entkommen.
Vor ein paar Tagen traf ich eins der Jungen (oder genau dieses?) noch einmal. Als ich die Gießkanne über den Rand meines Frühbeets hob, flogen laut flatternd und meckernd zwei Amseln auf. Hups! Sorry! Ich wollte euch nicht erschrecken! Während die eine Amsel direkt hoch in den nachbarlichen Walnussbaum flog, landete die andere zwei Meter neben mir auf den Liegestuhl und sah mich vorwurfsvollST an. „Entschuldigung“, wiederholte ich schuldbewusst. Wahnsinn, wie Tiere einen anschauen können! Man fühlt sich sofort total schlecht. Aber gleichzeitig freute ich mich riesig. Das waren eins der Amseljungen und ihre Mutter! Es konnte nun schon fliegen und hat super schnell reagiert. Sehr gut! Dann hat es gute Chancen, weiter zu überleben. Schließlich hätte meine Gießkanne auch eine Katze sein können…
Das tote Amseljunge auf dem Carportdach haben wir übrigens erstmal liegen lassen. Ein paar Tage nach dem Drama flatteren Elstern*** mit ihren Jungen in den Büschen am Carport herum. Am selben Abend war das tote Amseljunge weg. Ich hab´s zwar nicht beobachten können, aber ich vermute, sie haben es sich dann doch noch geholt. Vielleicht während einer Lehrstunde für Elsterjunge…
* So nah die Amseln bei ihre Futertsuche an uns herankommen, fotografieren lassen sie sich nicht. Daher gibt´s hier leider kein Foto!
** Das wollte ich nicht fotografieren!
*** Auch die Elstern lassen sich nicht fotografieren. Sie sind sehr scheu und verstecken sich oder fliegen gleich weg, wenn sie sich von uns beobachtet fühlen.
Bei dir ist ja was los … aber das ist ja eine Geschichte, wie sie ständig in unserer Natur vorkommt. Direkt vor der Haustür ist das natürlich noch viel dramatischer …
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Stimmt, draußen absoluter Alltag, während wir unseren Alltag leben, und das meistens gar nicht mitbekommen. Vorhin hab ich schon mal geschrieben: Eigentlich bräuchte man keinen Fernseher, da draußen passieren mehr als genug Geschichten 😉
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Das ist ja eine aufregende Geschichte und schön, dass wenigstens ein Amseljunges überlebt hat! Ja, die Natur ist manchmal grausam. Wie heisst es doch so schön? „Fressen oder gefressen werden“.
Viele Grüsse aus Kanada
Christa
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Hallo nach Kanada! Ja, Fressen oder gefressen werden… das kann man in Kanada sicher auch gut beobachten!
Ich stelle gerade fest, dass ich schon eeeewig nicht mehr auf deinem Blog unterwegs war. Wie schön, dass du mich mit deinem Kommentar hier daran erinnerst, mal wieder vorbeizuschauen!
Viele Grüße zurück über´n Teich!
Sabine
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Wow, was für ein Krimi! Und deine Gefühle kann ich so gut nachvollziehen!!! Wie schön, daß es eins oder mehrere Amseljunge geschafft haben! Wie du schon sagst, die wissen eigentlich instinktiv was richtig ist, während unsereiner noch überlegt….erinnert mich an das Amselabgangsdrama letzten Sommer auf dem Balkon, wo sich eine Übermutter unbedingt einmischen mußte 😉 Das Nest sieht toll aus. Wie kunstvoll das gearbeitet ist!
Wegen der Elstern: ob die gestört worden sind, daß sie es haben liegenlassen (das arme Ding)? Letztes Jahr hatten Elstern hier ein Eichelhäherjunges erbeutet. Es lag auch erst mal tot auf dem Rasen und ich war schon stocksauer, umbringen und dann nicht fressen. Eine oder zwei Stunden später kamen sie dann und holten es sich doch. Ich weiß aber nicht, ob das nun Strategie oder Zufall ist. Wäre mal interessant! Ach ja, die Jungen sind eben oft Futter für andere Jungen. So ist das, nur sehen möchte man das nicht…
Wirklich toll, daß es bei euch im Garten so viele Verstecke gibt. Das hat sie bestimmt gerettet 🙂
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Ja, fühlte sich die Tage über auch an wie ein Gartendramakrimi. Und irgendwie ist es das ja auch. Wenn man draßen viel beobachtet, bracht man gar keinen Fernseher mehr 😉 was schon allein auf 1300 qm Garten an Geschichten passieren! Das füllt ganze Blogs 😉
Einmischen ist so ne Sache – es zuckt halt so in einem! – und geht auch nicht immer gut, aber man ist halt auch nur ein Mensch 😉 hihi!
Ja, das Nest ist hübsch, find ich auch! Vielleicht wurden die Elstern gestört, wäre interessant, ja. Oder sie lassen es mit Absicht erstmal liegen? Damit irgendwelche Stoffe (wie z.B. Stresshormone?) in der Beute abgebaut werden, die ihnen nicht bekommen würde?
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Ja, die Aufzucht der lieben Kleinen ist und bleibt spannend 🙂 Egal ob Mensch oder Tier und man freut sich und leidet immer mit!
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Amseljunge verlassen schon mal früh das Nest, werden aber in der Nähe noch gefüttert. Bei Meisen kann das auch passieren. Ich wusste das auch nicht und habe letztes Jahr ein Amseljunges vor den aufgebrachten Hühnern gerettet und zurück ins Nest gesetzt, als die Eltern nicht da waren. Daraufhin sprangen alle Jungen vor mir weg aus dem Nest. Das war ein Drama. Später habe ich aber dann auch entdeckt, dass die Eltern die kleinen überall im Garten füttern. Mittlerweile habe ich auch gelesen: Vogeljunge, die nicht mehr nackig sind, besser da lassen wo sie sind. Wahrscheinlich sind die Eltern in der Nähe und kümmern sich.
Sieht so aus als ob die Jungen durchgekommen sind. Oder es ist Zufall, dass dieses Jahr im Garten mehr Amseln brüten als bisher.
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Hallo noordsestern!
Vielen Dank für dein Kommentar! Das Drama kann ich mir gut vorstellen!
Ja, jedes Jahr werden unzählige Jungvögel in vermeintlich guter Absicht in Tierheimen, Vogelauffangstationen oder wo auch immer abgegeben, weil die Finder der Jungvögel denken, das Junge sei hilflos und verlassen. Aber die Tierwelt kann das ganz gut ohne uns 🙂 Sie macht das alles schon viel länger als es uns Menschen gibt. Wenn wir uns einmischen, machen wir es nicht immer automatisch besser.
Sehr spannend, wenn man dann mal so beobachten kann, wie geschickt schon die Kleinen im sich in Deckung halten sind! Und dass die Elternvögel ihre Jungen auch immer wieder finden! Die Kleinen bleiben ja nicht unbedingt ständig an der gleichen Stelle hocken, werden mal verscheucht, müssen sich neu verstecken… Ich fand es sehr beeindruckend, das mal so zu beobachten!
Herzliche Grüße aus dem Garten!
Sabine
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